Bidirektionales Laden: ausgewählte best Practices

Nachhaltige Mobilität ist machbar, wenn man einen Blick über den Tellerrand wirft. Bidirektionales Laden kann einen Beitrag zur Netzstabilität leisten und gleichzeitig Speicherkapazitäten für private Solaranlagen dienen.

VON RAYMON DEBLITZ UND DIANA KISRO-WARNECKE  


Durch die aktuelle geopolitische Lage, ausgelöst durch den Ukraine-Krieg, steigende Energiekosten und die fortschreitende Energiewende nimmt die Volatilität von Energieressourcen wie etwa der Windkraft in der mittleren oder Photovoltaik in der unteren Netzebene stark zu. Daneben erfährt die von der Bundesregierung forcierte Mobilitätswende einen starken Push und belastet damit insbesondere die untere Netzebene. Während Deutschland erst am Anfang der Bedarfsmessungen steht, wurden in Asien – besonders in Japan und China – frühzeitige und konsequente Maßnahmen eingeleitet.


Ein Ansatz für nachhaltige Mobilität

Eine Möglichkeit, das Stromnetz zu stützen, Umverteilungen vorzunehmen oder die Kostenstruktur zu optimieren, liegt in der Etablierung einer bidirektionalen Ladeinfrastruktur, der Einführung eines Lastmanagementsystems und eines Home Energy Management Systems (HEMS). Im Sinne eines auch kulturell ableitbaren Verständnisses für Ganzheitlichkeit und nachhaltiges Wirtschaften, wurde in Japan das bidirektionale Laden ab einer bestimmten Batteriekapazität gesetzlich festgeschrieben. So wurde ab dem 1. April 2022 eine Regelung eingeführt, die besagt, dass Elektrofahrzeuge ab einer Batteriekapazität von 30 kWh das bidirektionale Laden vor dem Hintergrund der hohen Anzahl vollelektrischer Fahrzeuge im Land und den Erfahrungen aus der Tsunami-Katastrophe unterstützten müssen. Aus Japan stammende Fahrzeuge mit einer Akku-Ladekapazität von 30 kWh oder höher bieten daher in der Regel die Möglichkeit, Energie zurück ins Stromnetz im CHdeMO-Protokoll zu speisen, um etwa als Stromquelle für Häuser (V2H) oder andere externe Anwendungen (V2G, V2L) zu dienen (Stand: September 2021). In der Zwischenzeit existieren auch in Europa Möglichkeiten, auf Basis des ISO-Standards 15118-20 mit den gängigen Ladepunkten bidirektional zu laden, sofern dieser Standard als Basis umgesetzt wurde. Dieser wurde im April 2023 verabschiedet. Fahrzeuge wie Volvo EX90, Polestar 3 und Mercedes EQE unterstützen das bidirektionale Laden, wobei gerade Volvo und Polestar sowohl in AC (3 Phasen 11KW) als auch im DC (Gleichstrommodus) verfügbar sind. Chinas Automarken sind weit fortgeschritten im Aufbau von Ladeinfrastrukturen, wovon der skandinavische Automobilbauer als Teil der chinesischen Investorengruppe Geely profitiert.


Netzdienliche Sicht

Durch den Rückbau non-volatiler Energiequellen wie zum Beispiel Kohlekraftwerke, aber auch durch die Zunahme von Elektrofahrzeugen steigen die Anforderungen a die Netzstabilität in allen drei Netzebenen. Um die Netzfrequenzvolatilität zwischen 50,2 und 49,5 Hz zu halten und im Extremfall einen Blackout zu verhindern, braucht es regelmäßig hohe Anstrengungen. Da sich der Betrieb von E-Fahrzeugen im Wesentlichen im unteren Netzsegment auswirkt, gibt es bereits seit einiger Zeit für konzentrierte Ladepunkte (E-Stationen) in Parkhäusern oder entlang der Autobahn das sogenannte Smart Charging. Wenn mehrere E-Autos gleichzeitig geladen werden müssen, erfolgt damit eine Zuteilung von Ladeleistung an einzelne Fahrzeuge. Ladeknoten werden hinsichtlich der maximalen Leistung limitiert, wodurch das Netzsegment nicht überlastet wird. Nachteil des Smart Chargings ist zurzeit daher die Limitierung der individuellen Ladeleistung und damit die Verlängerung der Ladezeit. Vor dem Hintergrund einer weiteren starken Zunahme von Elektrofahrzeugen ist Smart Charging allein nicht mehr zielführend: Netzsegment und E-Stationen müssen an höhere Ladeleistungen angepasst werden, was hohe Investitionen benötigt. Experten der Automobilbranche gehen davon aus, dass ein Fahrzeug zu ungefähr 95% der Zeit steht. Damit können die Fahrzeugbatterien als Pufferbatterien zur Netzstabilisierung eingebunden werden und damit unnötig hohe Investitionen in die Netzstabilität vermeiden. Dieser Ansatz ist sowohl für den öffentlich-passiven Verkehrsraum wie Parkhäuser, als auch für den privaten Bereich interessant. Dem häufigen Einwand einer zusätzlichen Degradation der Batterie durch häufige Lade- und Entladevorgänge entgegnete der chinesische Automobilhersteller NIO mit einer aufwendigen Infrastruktur. Diese ermöglicht den Austausch der Batterie innerhalb weniger Minuten und etabliert sich auch zunehmend in Europa, allerdings mit zusätzlichen Lademöglichkeiten für Akkus. Nach aktueller Planung wird von einer Kapazitat von nur 10 bis 15 kWh als Energiemenge zum bidirektionalen Laden ausgegangen. Erfahrungswerte aus Schweden, China und Japan stützen diese Annahmen. Unter dieser Randbedingung ist das kalendarische Altern der Batterie gewichtiger, denn das technische Altern wird durch das bidirektionale Laden nicht signifikant beeinflusst. Hersteller wie Volvo oder Polestar geben dennoch eine Batteriegarantie von acht Jahren für einen SOH (Status of Health) von 70%. Netzbetreiber bevorzugen dieses Vorgehensmodell, da vorhandene Technologien nutzbar gemacht werden. Der Ansatz des bidirektionalen Ladens lässt sich mit dem Konzept des Virtuellen Kraftwerks (VPP) effizient verbinden. Hierbei werden dezentrale Erzeuger/Einspei-ser und damit auch bidirektional ladende Fahrzeuge zu einem Virtuellen Kraftwerk gebündelt, Ladedaten statistisch erfasst und daraus Ableitungen gewonnen und Vorhersagen ermöglicht, zu welchem Zeitpunkt Energie zur Verfügung steht oder verstärkt benötigt wird. Die Kombination der Ansätze mit einem gesicherten Data Management kann maßgeblich dazu beitragen, dass trotz zunehmender Anzahl E-Autos auf deutschen Straßen mit zeitgleichem Ausbau volatiler Energiequellen das Stromnetz mit überschaubaren Investitionen stabil gehalten werden kann und Ressourcen nachhaltig genutzt werden. Eine ganzheitliche Betrachtungsweise der Energiegewinnung und des Verbrauchs mit Beteiligung aller Stakeholder sowie eine innovative und konsequente Umsetzung von Infrastrukturprojekten haben Japan und China einen global eklatanten Wettbewerbsvorteil verschafft.


Marktdienliche Sicht

Für das Laden ins Netz (Vehicle-to-Grid, V2G) und damit zur Unterstützung der netzdienlichen Seite werden derzeit finanzielle Anreizmodelle für Fahrzeugbesitzer diskutiert, die weniger auf die Degradation der Batterie als auf das Lastmanagement abzielen. Unter dem Gesichtspunkt des Ladens im Privatumfeld (Vehicle-to-Home, V2H) lassen sich unterschiedliche Aspekte betrachten. Grundsätzlich können bidirektional ladbare Fahrzeuge auch als Puffer für die hauseigene PV-Anlagen betrachtet werden, was Investitionen für eine Hausbatterie (rund 8.000 Euro) reduziert. Rechnerisch betrachtet kann der Energiebedarf einer vierköpfigen Familie (etwa 3.600 kWh/J entspricht rund 10 kWh/Tag) für fünf Tage gespeichert werden, wenn die Autobatterie eine Kapazität von 50 kWh umfasst. Bei den erwähnten Modellen von Volvo, Polestar und Mercedes wäre eine Pufferung von etwa 10 Tagen möglich, da diese Fahrzeuge eine Nettokapazität von rund 100 kWh aufweisen. Die dritte Möglichkeit des marktdienlichen Nutzens im Rahmen des bidirektionalen Ladens setzt zeitabhängige Energietarife voraus. In Japan oder Schweden erfolgt das Laden und Puffern des Stroms im Auto während des Niedrigpreisfensters; die Energierückspeisung erfolgt dann zur lokalen Nutzung im Haus (V2H) während der Hochpreisfenster. Am Beispiel Schweden (vierköpfige Familie, Jahr 2021) wurde so ein zusätzlicher Erlös von 600 bis 800 Euro pro Jahr ermöglicht. Damit können auch Lastspitzen im Netz gekappt werden. Die gerade in Asien üblichen zeitabhängigen Stromtarife werden bereits in Deutschland diskutiert. Das Fortschreiten der Mobilitätswende wird die vorgestellten technischen Ansätze zur Netzstabilität umzusetzen als notwendiger denn je aufzeigen. Es wird Zeit, die Mobilitätswende ganzheitlich und konsequent anzugehen und globale best Practices zu nutzen.

Dr. Diana Warnecke ist Principal bei NTT DATA DACH. Kontakt:  Diana.Kisro-Warnecke@nttdata.com 

Raymon Deblitz-Warnecke ist Managing Director bei T&B ChinaConsulting. 

Kontakt:  info@chinaconsulting.org


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